Flutkatastrophe an der Ostküste - HP 5.1.1954
Kampf gegen Wassermassen / Polizei im Einsatz
Von unseren Korrespondenten
Kiel. Ein aus nordöstlicher Richtung überraschend, heranpeitschendeses Sturmtief hat an den Küsten Deutschlands, Dänemarks, Südostenglands, Belgiens und der Niederlande beträchtliche Schäden angerichtet und die betroffene Küstenbevölkerung in Angst und Schrecken versetzt. Unter dem Druck von Schneeböen, die teilweise Spitzengeschwindigkeiten bis zu Windstärke zehn erreichten, wälzten sich die aufgewühlten Fluten der Ostsee in die offenen Buchten, überspülten die Uferstraßen und Kaianlagen, rissen kleinere Schiffe, Dalben und Anlegebrücken los und brachten den Hafenverkehr zum Erliegen.
In Kiel stand das Wasser fast zwei Meter über normal. In Lübeck wurde das historische Wahrzeichen der Stadt, das alte Holstentor, von der Flut umspült, und die Feuerwehr mußte mit Schlauchbooten die Bewohner der vom Wasser eingeschlossenen Häuser in der Hafengegend bergen. Der Bundesgrenzschutz hat im Katastropheneinsatz ein vom Wasser bedrohtes Flüchtlingslager geräumt und die völlig überschwemmte Strandstraße bei Niendorf mit Sandsäcken abgedämmt. Auch in den bekannten Ostseebädern Travemünde, Scharbeutz, Grömitz, Kellenhusen und Dahme errichtete die Einwohnerschaft in fiebernder Eile Sandsackwälle zum Schutz ihrer tiefgelegenen Häuser. Aus Laboe am Eingang der Kieler Bucht wurden erhebliche Schäden gemeldet. Die Fährverbindung Großenbrode — Gedser wurde eingestellt.
Die mit unverminderter Heftigkeit au,s Nordosten heranfegenden eiskalten Winde erschwerten die Bergungs- und Hilfsaktionen beträchtlich. Das gewaltige Ausmaß des Sachschadens kann noch nicht übersehen werden.
Im Gebiet der Sowjetzone sind die Fluten bis zu 1,80 Meter über den normalen Stand gestiegen und haben an verschiedenen Küsten kleinere Deichbrüche verursacht. An einzelnen Stellen werden Rettungsaktionen mit Booten und Schlauchbooten durchgeführt, um die Bewohner von unter Wasser stehenden oder eingeschlossenen Häusern zu bergen. Einige Gehöfte irn Küstengebiet und Ortschaftsteile auf der Insel Rügen, die durch die steigenden Fluten bedroht sind, wurden vorbeugend geräumt. Die Insel Hiddensee wurde teilweise von den Fluten überspült, ihre Bewohner sollen sich und ihr Vieh rechtzeitig gerettet haben.